Was nichts daran ändert, dass Kinder mit Zeitbegriffen regelrecht bombardiert werden. Denn Erwachsene lieben es, ihre Sätze mit zeitbezogenen Formulierungen zu spicken, wie «gleich», «sofort», «Moment», «nur noch ein bisschen» oder «bald». Wer möchte, dass sein Nachwuchs damit etwas anfangen kann, sollte an die Zeitangaben jeweils ein Ereignis knüpfen, rät Marc Wittmann, Psychologe und Autor des Buchs «Gefühlte Zeit». Etwa «nach dem Essen», «wenn du deine Hausaufgaben gemacht hast» oder «nach dem Kindergarten». Was viele Eltern ohnehin intuitiv machen. Zeitgefühl jedenfalls, so Wittmann, erlernen Kinder nur durch konkrete Erlebnisse (siehe Infobox).
Schon immer lebten Menschen in Zeiteinheiten, die ihr Handeln strukturierten. Was früher Sonnenuntergang oder Hahnenkrähen leisteten, wurde mit der Industrialisierung von einer neuen, präziseren Zeitrechnung abgelöst: der Uhr. Das Empfinden für Zeit ist jedoch stark kulturell geprägt. Eltern in unseren Breitengraden verstehen Zeit als messbaren Wert, der uns determiniert. Unseren Kindern leben wir eine Zeitkultur vor, die grossen Wert auf Pünktlichkeit legt, auf Tagesstruktur, Eile und Belohnungsaufschub. Die Einhaltung dieser Normen erwarten wir auch von unserem im Hier und Jetzt lebenden Nachwuchs – spätestens ab dem Schuleintritt.
Tatsächlich jedoch sehen sich heute bereits Kita-Kinder einem Zeitkorsett ausgesetzt; von eng getakteten Freizeitstundenplänen ganz zu schweigen. Und sind beide Elternteile berufstätig, braucht es ohnehin aufwendig ausgeklügelte Zeitpläne – während sich gleichzeitig Arbeit und Privates immer mehr vermischen und von allen Seiten flexibles Handeln gefordert wird.
Angesichts dieser gesellschaftlichen Veränderungen ist es umso wichtiger, Kinder früh an Zeitgestaltung teilhaben zu lassen, findet Erziehungswissenschaftler Wahne – «damit sie einen gelingenden Umgang mit Zeit erlernen können und später für die Anforderungen, wie dem flexiblen Umgang mit Zeit, gerüstet sind.» Denn wer im Laufe seiner Bildungsbiografie immer vorgeschrieben bekommt, was er wann tun soll, dem fällt es an der Uni häufig schwer, plötzlich ohne zeitliche Vorgaben zu arbeiten.