Als Grippe, Brustfell- und Lungenentzündung sie in die Knie zwingen, ihr von der Therapie gebeutelter Körper die Viren nicht mehr zu vertreiben vermag, quartiert sich Mias Mutter bei ihr ein, telefoniert mit dem Notarzt, macht Wadenwickel, besorgt Fruchtsäfte und Brot. Mias Mann steht wie ein Fels in der Brandung, schmeisst den Haushalt, kümmert sich um Tim, macht Mia Mut. Irgendwann ist der Tiefpunkt überwunden und die Kranke gewinnt den ihr eigenen Optimismus zurück. Heulenden Freundinnen erklärt Mia, Mitleid nütze ihr nichts, sie wolle ihr Leben nicht vom Krebs beherrschen lassen. Und sie sieht immer den Grund vor Augen, durchzuhalten: ihr kleiner Sohn. Zur Bestrahlung, die nach der Chemo folgt, nimmt Mia ihn sechs Wochen lang täglich mit in die Radioonkologie. Tim darf jeweils auf dem Schoss der Röntgenassistentin sitzen und durch eine dicke Scheibe zugucken, wie der schwere Schwenkarm des Bestrahlers langsam um seine Mama kreist. Nach sieben Minuten ist sie wieder bei ihm.
Nachdem der bösartige Knoten in Mias Brust entfernt, Chemo- und Bestrahlungstherapie überstanden sind, muss die junge Mutter täglich eine kleine Pille schlucken. Mindestens fünf Jahre lang. Das Antihormon unterdrückt das körpereigene Östrogen, denn Brustkrebs ist oft östrogenabhängig. Die Kehrseite: Wird dem Körper dieses wichtige Fruchtbarkeitshormon entzogen, sinkt die Chance deutlich, schwanger zu werden. Mit 33 Jahren steckt Mia in der Menopause.
Frauen ab Mitte 30 mit Brustkrebs und Kinderwunsch läuft die Zeit davon. Eine doppelte Bestrafung. «Mitschuld», sagt Teelke Beck, trage auch der Umstand, dass Frauen heute das Mutterwerden hinauszögerten. Der Ärztin liegt deshalb viel daran, ihre jüngeren Brustkrebspatientinnen aktiv nach ihrer Familienplanung zu fragen und sie zu beraten. Frauen mit Partner haben die Möglichkeit, Embryonen zu konservieren, jene ohne Partner, Eizellen oder Eierstockgewebe einfrieren zu lassen.
Banges Warten
Oder sie richten ein Zeitfenster ein, in welchem sie die Einnahme des Antihormons unterbrechen. Medizinisch liegt ein solcher Unterbruch zwar im «luftleeren Raum», Studien dazu existieren praktisch keine. «Aber es gibt auch keine Hinweise, dass ein Rückfall während einer erneuten Schwangerschaft häufiger auftritt», sagt Teelke Beck. Auch wenn kein Onkologe einer Frau raten würde, nach zwei Jahren die Hormonbehandlung zu unterbrechen, wiegt für die Gynäkologin der Kinderwunsch betroffener Frauen viel: «Eine Frau sollte prinzipiell die Chance haben, trotz Brustkrebs noch ein Kind zu bekommen.» Die Verantwortung trägt schlussendlich jede selber.
Mia und ihr Mann entscheiden sich gegen das Konservieren von Embryonen oder das Einfrieren von Eizellen. So wie ihr erstes Kind soll auch das zweite gezeugt werden: natürlich. Nach zwei Jahren unterbricht Mia die Antihormonbehandlung. Nicht sorglos und nicht eigenmächtig, sondern nach Absprache mit ihrer Gynäkologin und dem Onkologen. «Es ist vielleicht absurd. Aber mein Kinderwunsch war so stark, ich wollte einfach unbedingt noch ein Kind.» Mia googelt nach neuen Studien, will abklären, welches Risiko sie eingeht und wissen, ob das Aussetzen der Hormonbehandlung und eine neue Schwangerschaft zum Rückfall führen könnte.
Dann beginnt das bange Warten. Würde ihre Mens wieder einsetzen? Ihr Körper noch einmal fruchtbar werden? Mia und ihr Mann geben sich ein Jahr. Sollte es in dieser Zeit nicht klappen, würde Tim ihr einziges Kind bleiben. Nach sechs Monaten hilft Mia mit Mönchspfefferkapseln nach. Die Heilpflanze drosselt das Prolaktin und erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft. Kurz darauf setzt die Menstruation ein – und bleibt nach dem zweiten Zyklus wieder aus. Mia ist schwanger.
Die Teetassen sind längst geleert. Mia sitzt am Küchentisch, erzählt und schaukelt noch immer Noah in ihren Armen. Der Kleine spitzt im Schlaf den Mund, als suche er die Brust. Mia kann ihn stillen – nur mit der gesunden Brust zwar, diese aber gibt Milch her für zwei. Bald wird Mia abstillen und danach fortfahren mit der kleinen Pille, die sie erneut in die Menopause versetzen wird. Mit Hitzewallungen, Schweissperlen auf der Stirne, Gewichtszunahme.
Manchmal, sagt Mia, schlage eine Panikwelle über ihr zusammen, erfasse sie plötzlich die Angst, der Krebs könnte zurückkehren. Doch sie lerne allmählich, die Wogen als Teil ihres Lebens zu akzeptieren. Die Diagnose Brustkrebs bedeutet nicht mehr den sicheren Tod.
Die Perücken hat Mia auf dem Estrich verstaut. Vielleicht werden ihre Kinder, wenn sie grösser sind, damit spielen. Und damit den letzten Rest der bedrückenden Zeit vertreiben, die ihre Mama mit dem Kunsthaar verbindet.