Neun Jahre später: Ich bin wieder schwanger. Diesmal wird es anders, verspreche ich mir. Und dem Baby in meinem Bauch. Mein neuer Arzt sagt, ein anderer Partner sei schon mal gut. Das Wiederholungsrisiko dadurch geringer. Neue Gene, neues Glück. Ich muss lachen. Ich erhalte Medikamente. Präventiv. Benutze Stützstrümpfe. Messe meinen Blutdruck, esse ausgewogen.
Ich habe Angst. Jeden Tag. Ich träume von blutverschmierten Kacheln. Jemand muss mich abklären. Etwas stimmt nicht mit mir. Vielleicht ist es wider die Natur, dass ich Kinder kriege.
Das statistische Wiederholungsrisiko eines HELLP-Syndroms liegt bei 5 bis 19 Prozent, schreibt die Arbeitsgemeinschaft GestoseFrauen. Um eine erneute Erkrankung zu vermeiden, sei es wichtig, sich eiweissreich zu ernähren und den Salzkonsum nicht zu reduzieren. Vor allem wenn Ödeme auftreten, meiden viele Schwangere Salz. Gundula Hebisch rät zusätzlich nach einem HELLP vor einer weiteren Schwangerschaft zu immunologischen und gerinnungsphysiologischen Abklärungen. Auch die Niere sollte unter die Lupe genommen werden.
Ausserdem verschreibt Hebisch bei einer HELLP-Vorgeschichte ab dem positiven Schwangerschaftstest Aspirin Cardio und empfiehlt zweimal am Tag den Blutdruck zu messen. Auch zur Beruhigung der Schwangeren. Stress gilt es zu vermeiden, allenfalls muss auch das Arbeitspensum reduziert und der Haushalt umorganisiert werden.
Es könnte sich überall verstecken, das unsichtbare HELLP. In meiner Leber. In meiner Niere. Ich bin auf der Hut, scanne täglich meinen Körper. Ich mache eine Hypnotherapie. Ein blühender Apfelbaum mit tiefen, starken Wurzeln wird mein HypnoseBild. Ein weisser Schäferhund mein Beschützer. Ich sei jetzt in guten Händen, sagt mein Arzt. Wir schauen ganz genau hin, testen im kleinsten Zweifelsfall.
Der geplante Kaiserschnitt findet früh am Morgen statt. Keine geschwollenen Füsse, mein Blutdruck normal. Mein Bauch wird aufgeschnitten. Alles wird gut, flüstere ich. Es ist ein Mädchen. Etwas klein, aber gesund, sagt die Hebamme. Sie legt sie auf meine Brust. Wie wunderschön sie ist. Wie ihr Bruder, der sie ein paar Stunden später im Arm hält. Zwei Tage später: Mein Blutdruck ist zu hoch, meine Leberwerte auch. Keine Sorge, bis jetzt ist es kein HELLP, sagt mein Arzt. Am dritten Tag darf ich nach Hause.
Trotzdem verfolgt mich die Angst vor dem HELLP wie ein Dämon. Ich kann nicht schlafen, kontrolliere meinen Blutdruck, immer und immer wieder. Ich überwache jeden Atemzug meiner Tochter. Kann auch meinen Sohn kaum aus den Augen lassen. Ich habe Weinkrämpfe, kann nicht richtig atmen.
Panikattacken, allenfalls eine posttraumatische Belastungsstörung, meint die Hebamme. Wir organisieren Hilfe. Mein Mann nimmt sich frei, ich gehe zu einer Therapeutin, sage Besuch ab. Nach drei Monaten löst sich die Angst. Verschwindet der Dämon. Endlich.