Tag 1
Ich bin motiviert und gut gelaunt. Und sicher, dass ich den ersten Tag mit Links schaffe. Gemütlich plaudernd sitzen wir beim Abendessen. Nur Kind zwei blickt mürrisch. Es will den Brokkoli nicht essen. Ich bleibe gelassen: «Einen Löffel musst du probieren, Maus.» Kind: «Das hab ich schon.» Ich, ganz lieb: «Ich habs aber nicht gesehen.» Kind, gereizt: «Dann hättest du halt gucken müssen. Jedenfalls probier ich nicht noch einmal, das ist gruusig.» Ich: «Sag nicht gruusig, sag, ich mag das nicht.» Kind: «Aber es ist gruusig.» Mein Gehirn schaltet auf Automat: «Wenn du nicht probierst, gibts imfall kein Dessert.» «Du bist so fies!», schreit es, stopft sich einen Löffel kalten Brokkoli rein, schluckt, würgt und simuliert heftigste Kurz-vor-dem-Erbrechen- Geräusche.
Fetter Doppelstrich auf die Liste, aber dalli, fürs Drohen und Erpressen.
Tag 2 bis 5
Kind eins pubertiert, Kind zwei ist verliebt. Und ich? Ich bin verständnisvoll, ruhig, nachsichtig. Komme ohne Meckern durch die Tage. Top, finde ich. Es geht doch. Kind eins fragt: «Mama, bist du krank?»
Tag 6
Zu viel Laptop, zu viel Haushalt, zu viel Kinder, zu viel Leben. Ich mach mal präventiv überall einen Strich auf die Liste.
Tag 7
Ich liege gemütlich auf der Couch, abgetaucht, versunken, lausche der sexy Stimme von Daniel Brühl aus dem CD-Gerät, der «Lila Lila» liest. Da dröhnt aus dem Zimmer von Kind zwei Taylor Swift: «Du bist der König Baaaby und ich deine Kööönigiin, yeah yeah.» Schon kommt das Kind dahergehüpft: «Mama, ich mach in meinem Zimmer ein Konzert, kommst du auch?» Oh nein! Zimmerkonzerte von Kind zwei bedeuten, es performt und singt zu ohrenbetäubend lauter Musik mindestens fünf Songs, und dann gibts noch Zugaben, und das alles in der totalen Dunkelheit des Zimmers, und ich muss den Beleuchter per Taschenlampe und das begeisterte Fanpublikum machen. Darauf hab ich nun absolut keine Lust. Die spontane Reaktion auf solche Ideen ist normalerweise ein klares Nein. Doch diesmal sag ich Ja, warum zur Hölle auch immer. Das Kind ist glücklich. Und ich das Discolicht.
Tag 8 bis 13
Ferientage. Besuch im Zoo, durch den Wald streifen, Herbstfeuer im Garten mit Würste braten und Marroni. Ich geniesse die schönen Seiten des Mamaseins: wenn knuddlige Kinderarme mich umfangen, wenn der Kanon funktioniert, wenn wir Geschichten hören, frischen Tee kochen, die Kinder «Beiz» spielen und ich Gast sein darf. Wunderschöne Tage und Abende. Es ist entspannend, die Zeit mit den Kindern zu verbringen statt mit unnötigem Kram. Dinge, die sonst endlos nerven, mit Gelassenheit und Humor zu nehmen.
Tag 14
Aufräum- und Putztag. Überall blitzeblank. Zufrieden steh ich da und habe diese surreale Idee, dass es nun mindestens sieben Tage so aussehen sollte – bis Kind eins mit dem Hund, beide nasstropfend, zur Tür reinspaziert und Kind zwei im Wohnzimmer am Delfin aus Speckstein schleift. Reaktion: Austicken. Konsequenz: Drei Striche. Fürs Brüllen, Drohen, Fluchen.
Tag 15
Kind zwei liegt abends im Bett: «Mama, würdest du mich weggeben? » «Niemals Maus, warum meinst du?» Kind: «Auch nicht, wenn ich was ganz Schlimmes gemacht habe und die Polizei kommt?» «Nein, natürlich nicht.» Kind: «Was würdest du denn dann machen?» «Wir würden mit der Polizei reden und schauen, wie wir das wiedergutmachen können. Warum denkst du denn, dass ich dich weggeben könnte?» «Wenn du manchmal so viel schimpfst, dann denke ich das.» Oh nein! «Ich hab dich ganz fest lieb. Schimpfe ich denn so viel?», frag ich. «Ja, manchmal schon. Aber weisst du, das macht nichts», sagt das Kind. Doch, finde ich, das macht was. Ich bin überwältigt, wie gross Kinder im Verzeihen sind. Und mache eine neue Spalte auf der Liste: Fürs Schämen.
Tag 16
Ich hasse Umkleidekabinen. Wenn ich Kleider brauche, geh ich in den Laden, schnappe mir was, halte es hin, passt. Wenn meine Kinder Kleider brauchen, wird das zur ausufernden Orgie. Sie krallen sich alles, was ihnen gefällt und rauschen ab in die Umkleide. Jedes einzelne Teil wird anprobiert, im Spiegel begutachtet, ausgezogen und hingeschmissen, und ich darf es dann zusammenlegen oder auf die krakeligen, gummierten Kleiderbügel wuseln. Ich sitze vor der Kabine auf der Bank, Berge von Kleidern auf mir, schwitze, weils in Kleiderläden warum auch immer ganz wahnsinnig heiss ist. Eine Stunde später und trotz drei noch weiteren Kollektionen bin ich äusserlich ruhig, innerlich nur ein klitzekleines bisschen unentspannt: Oooohhm, ich bin ein Adler und schwebe hoch durch die Lüfte.
Tag 17
Es ist keine olfaktorische Halluzination, sondern der ganz reale Wahnsinn: Das Zimmer von Kind eins hat seit gefühlten zwei Monaten keine Frischluft mehr zugeführt bekommen. In der Dunkelheit der herabgelassenen Jalousien türmen sich Berge von ungewaschenen Kleidern, Jugendmagazinen, Gläsern, Essensresten, Keksschachteln. Normalerweise kümmere ich mich nicht darum, weil ich finde, dass ab einem bestimmten Alter das Zimmer Privatsache ist. Doch das hier sprengt jegliches Recht auf Privatsphäre. «Du musst dein Zimmer heute aufräumen, das geht so nicht.» Das Kind sagt in gereiztem Ton: «Aber ich hab heute abgemacht, ich machs morgen.» «Das machst du heute, sonst geht dein nächstes Sackgeld drauf für Rentokil », sag ich ruhig und im Bewusstsein, dass meine Liste grad um einen Strich reicher geworden ist. Mir egal, sag ich mir, weil Maden als Haustiere kann ich mir nur ganz schlecht vorstellen.