Auf eigenen Füssen stehen
Fam. Akbari, Afghanistan:
«Wollen wir uns duzen oder siezen?» Nach fünf Minuten stellt der 35-jährige Salim Akbari diese Frage. Und dann laden sie zum Nachtessen ein, nach dem Gespräch, wenn Gäste kommen. «Es gibt afghanisches Essen. Sehr lecker. Ich koche», sagt Salim Akbari. «Früher konnte ich nicht einmal ein Ei zubereiten. Heute koche ich besser als meine Frau», sagt er und lacht schallend. In Afghanistan würden sie sagen, «was bist du, dass du kochst? Bist du eine Frau?» Er würde ausgelacht. Doch hier in der Schweiz ist Salim Akbari Hausmann, er sorgt für die Kinder Marjam, 2,5, und Fereshte, 12. Der gelernte Maurer hat auf eine Vollzeitstelle verzichtet, weil seine Frau Nosrat zu 100 Prozent berufstätig ist, als Praktikantin in einer Kindertagesstätte in Bern und als interkulturelle Dolmetscherin bei der Fach- und Bildungsstelle für Migration und Integration Interunido in Langenthal. Im August beginnt die 33-Jährige die Ausbildung zur Fachfrau Betreuung. «Ein solches Familienmodell wäre in Afghanistan undenkbar», sagt Nosrat Akbari.
Dezember 2009. Familie Akbari macht sich auf den Weg nach Europa. Fereshte ist sechs Jahre alt. Die Flucht dauert mehr als 40 Tage, zu Fuss über die Berge, per Schiff, Auto und zuletzt per Zug. In Mailand besteigen sie die Deutsche Bahn, Stuttgart ist das Ziel. Doch in Chiasso holt sie die Polizei aus dem Zug. «Ist hier Deutschland?», wollen die Akbaris wissen. Die Polizisten schütteln den Kopf. «Sie sind in der Schweiz.» Ein Land, dessen Namen sie noch nie gehört haben. Die Akbaris sind Moslems. «Auf der Flucht habe ich in der Türkei zum ersten Mal eine Frau ohne Kopftuch gesehen», erzählt Nosrat Akbari. Und sie stellte fest, dass auch die Frauen in der Schweiz keines tragen. Ihr Mann sagte, «du kannst selber wählen, ob du das Kopftuch weiter tragen willst oder nicht. Es ist deine Entscheidung.» Sie entschied sich dafür. «Es ist Teil von mir, seit ich neun Jahre alt bin.»