Manchmal ist es auch ganz okay, der Aussenstehende zu sein. Dann beschränke ich mich auf das Beobachten und tue so, als ob mich alles gar nichts anginge: weder die Hausaufgaben meines Stiefsohnes, noch die Frage, wie lange er draussen bleibt oder sonst irgendetwas. Ab und zu kommt es aus dieser kontemplativen Perspektive dann zu solch goldenen WTF-Momenten (WTF steht für «What the fuck?!», könnte man vereinfachend und euphemistisch auch mit «Was zum Teufel» oder «Hä?!» übersetzen):
Situation 1
Mutter: «Hast du Hunger?»
Sohn: «Nein.»
Mutter: «Auch nicht auf Nüdeli?»
Sohn: «Nein.»
ungefähr 10 Sekunden später
Mutter: «Willst du etwas essen?»
Sohn: «Ja.»
Mutter: «Was denn?»
Sohn: «Weiss auch nicht. Nüdeli oder so.»
Ich:

Situation 2
Mutter: «Ziehst du bitte Socken ohne Löcher an.»
Sohn (genervt): «Warum?!»
Mutter: «Weil ich nicht will, dass du wie ein Landstreicher herumläufst. Weil es draussen regnet. Und weil du neue Socken hast.»
Sohn (genervt): «Ich will aber nicht.»
Mutter (säuerlich): «Zieh andere Socken an!»
Sohn (demonstrativ): «Nein!»
Mutter (nach kurzem Innehalten): «Ich möchte, dass du dir andere Socken anziehst.»
Sohn: -
Mutter (sauer): «Eins.... zwei....»
Sohn (tobend, aber einlenkend): «Aaaaaah!»
Geht ab. Kommt mit intakten Socken.
Mutter (zufrieden): «So. Jetzt fehlt nur noch die Regenjacke.»
Sohn (anfällig): «Neeeeeein!»
Mutter: «Was ist denn damit nicht in Ordnung?»
Sohn: «Mit der sehe ich so schäbig aus.»
Ich:

Situation 3
Sohn: «Mami, darf ich noch länger raus?»
Mutter: «Na hör mal, du warst jetzt schon stundenlang draussen, kommst zu spät nach Hause und willst schon wieder raus?»
Sohn: «Ja, und?»
Mutter: «Nein, jetzt bleibst du mal drin!»
Sohn: «Aber alle anderen sind auch draussen: Stefan, Mirko, Bülent, Jay...» (Anmerkung des Beobachters: Mit Stefan spielt er sonst nie freiwillig. Mirko geht noch nicht zur Schule, etc.)
Mutter: «Du hast noch sehr viele Hausaufgaben. Fang doch mal damit an.»
Sohn (rollt mit den Augen): «Neeeeein. Das mache ich später.»
-- später --
Sohn: «Darf ich jetzt nochmals raus?»
Mutter: «Hast du denn deine Hausaufgaben gemacht?»
Sohn: «Nein.»
Mutter: «Weisst du denn noch, was wir abgemacht haben?»
Sohn: «Nein.»
Mutter (entnervt kapitulierend): «Also gut, kannst noch raus bis zum Znacht.»
Ich:

Situation 4
Sohn: «So. Ich habe die Franz-Wörtli geübt, kannst mich abfragen.»
Mutter: «Also, dann sag mal auf Französisch: Er geht.»
Sohn: «Was?! Das müssen wir nicht können.»
Mutter: «Momol.»
Sohn: «Nein. Das müssen wir nicht können.»
Mutter: «Hier, auf dem Lernzielkärtchen steht: 'Ich kann das Verb aller im Singular konjugieren.'»
Sohn: «Ja, eben. 'Aller'.»
Mutter: «Und was heisst das?»
Sohn: «Weiss ich doch nicht.»
Mutter: «Ich sage es dir: Es heisst 'gehen'. Und 'er' ist dritte Person Singular.»
Sohn (nach kurzer Überlegenspause): «Ja, aber das müssen wir nicht können.»
Mutter: «Was müsst ihr denn können?»
Sohn: «Das, was hier steht: je vais und so.»
Mutter: «Dann sag halt mal: Ich gehe.»
Sohn: «DAS MÜSSEN WIR NICHT KÖNNEN!»
Ich:
