Dabei wird unterschieden zwischen vier Verhaltensmustern, die unser Handeln und Erleben bestimmen: Der Elternmodus (wenn Schuldgefühle oder fordernde innere Stimmen überwiegen), der Kindmodus (verletzte Gefühle, Hilflosigkeit und Verlassenheit dominieren), der Bewältigungsmodus (wenn wir versuchen, eine Situation zu erdulden, zu vermeiden oder zu kompensieren) oder der Erwachsenenmodus. Wir alle befinden uns mal in dem einen, mal in dem anderen Modus, idealerweise jedoch am häufigsten im Erwachsenenmodus.
Dieser zeichnet sich durch gute Strategien der Selbstregulation aus. Die Schematherapie versucht, seine Anteile zu stärken.
Doch auch wenn Stolpersteine einen nur hin und wieder ins Straucheln bringen, ist es sinnvoll, seine Muster zu kennen: Wann schiebt sich mein altes Schema rein und wann bin ich in der Gegenwart? «Erst wenn ich das Problem verstehe, kann ich gegensteuern», sagt Psycho- und Paartherapeutin Felizitas Ambauen, die in Nidwalden eine Praxis betreibt.
Eltern sollten die eigenen Muster kennen
Gerade Eltern sollten sich über ihre Muster klar sein, findet sie. Schliesslich geben wir diese an unsere Kinder weiter – und zwar ungefiltert. Die Psychotherapeutin weiss, wovon sie spricht: «Manchmal, wenn ich mit meiner vierjährigen Tochter rede, höre ich meine eigene Mutter. Als die Kleine neulich abends zum Beispiel das Badesalz im Wohnzimmer ausleerte, wurde ich kurz wütend. Doch dann erkannte ich: Vorsicht, altes Muster!»
Im Gegensatz zu ihrer Mutter damals, entschuldigte sie sich umgehend bei ihrer Tochter und saugte die Sauerei mit ihr gemeinsam auf. «Was ich ohne das Wissen um meine Muster vielleicht in dieser Konsequenz nicht gemacht hätte.»
Ihren Kindern zuliebe sollten Eltern deshalb als erstes versuchen, sich selbst zu verstehen – wovon letztendlich auch der Nachwuchs profitiert. Doch dafür muss uns zunächst klar sein, wie es uns tatsächlich geht und was unsere Bedürfnisse sind – Dinge, die oft überdeckt werden von unzähligen auf uns einprasselnden Anforderungen des Alltags. Blenden wir unsere Gefühle und Bedürfnisse jedoch permanent aus, entwickeln sich im Extremfall Depressionen oder andere psychische Leiden.
Das innere Kind
Eine Möglichkeit, um Schicht für Schicht seine verdrängten Bedürfnisse und Gefühle heraus zu schälen ist das psychologische Konzept des inneren Kindes. Damit sind die im Gehirn gespeicherten Gefühle, Erinnerungen und Erfahrungen aus der eigenen Kindheit gemeint.
«Vielen fällt es leichter, wenn sie sich vorstellen, diese Gefühle sind ein Kind», sagt Schematherapeutin Gitta Jacob. Über Fragen wie «Stelle dich als Kind vor», oder «Wie geht es deinem vierjährigen Ich, was braucht es jetzt?», finden wir häufig einfacher Zugang zu unseren innersten Wünschen.
Dies erlebte auch Sarah (38). Die Oberärztin litt an Depressionen und war gestresst von ihrem fordernden Beruf, der sie permanent ihre eigenen Grenzen überschreiten liess. Mit einer Therapeutin näherte sie sich ihrem inneren Kind an und realisierte dabei, dass sie einem Muster aus Kindertagen treu geblieben war: So hatte bei ihren Eltern Schwäche als Versagen gegolten und Leistung war Mass aller Dinge. Plötzlich spürte die Ärztin wieder, wie sie als Kind ihre Bedürfnisse – auch mal nicht perfekt zu sein – immer verdrängen musste. Und realisierte, dass sie dies auch als erwachsene Frau noch tat.
Heute nimmt Sarah nicht mehr jede zusätzliche 12- Stunden-Schicht an. Wie eine Löwenmutter wirft sie sich jeweils schützend vor ihr überarbeitetes inneres Kind und sagt «nein». Was Therapeuten nicht überrascht, schliesslich kann man für sein Kind immer am besten einstehen – selbst, wenn es ein imaginäres ist.
In sich hineinhorchen
Idealerweise setzen wir uns jedoch mit unseren Bedürfnissen und Gefühlen nicht erst bei gravierenden Problemen auseinander. Einmal am Tag, raten Fachleute, sollte man kurz innehalten und sich fragen: Wie geht es mir eigentlich? Was brauche ich? Kann ich meine Gefühle benennen? Auch hier erleichtert das innere Kind oft den Zugang.
«Häufig reicht es, die Augen zu schliessen und sich als einstiges Kind vorzustellen, dem man nun als Erwachsener begegnet», sagt Ambauen. «Vielleicht lässt sich das innere Kind sogar in den Arm nehmen, und man kann ihm signalisieren, dass man seine Gefühle und Bedürfnisse ernst nimmt.» Oft braucht es dafür allerdings etwas Übung oder Anleitung.
Doch weshalb ist es so schwer, sich selbst Sorge zu tragen und auf Bauchgefühl und Intuition zu hören? «Es wurde uns abtrainiert», sagt Ambauen. Schliesslich wuchs die heutige Elterngeneration eher mit autoritären Regeln auf, oft im Bewusstsein, Empfindungen nicht zeigen zu dürfen. Wer als trauriges Kind immer gesagt bekommt «ist doch nicht so schlimm», lernt schnell, sich nicht mehr zu spüren, eigenen Gefühlen keinen Raum zu geben.
Auf eigene Bedürfnisse achten
Heutige Eltern laufen daher eher Gefahr zu überkompensieren, beobachtet die Psychotherapeutin. Wer als Kind emotional vernachlässigt oder nicht gesehen wurde, will es besser machen, überschüttet seine Kinder tendenziell mit Fürsorge und achtet gleichzeitig nicht auf eigene Bedürfnisse. Der Nachwuchs wiederum entwickelt womöglich ein Muster von Verstrickung, weil er viel zu sehr an Mutter oder Vater gebunden ist, und Mühe hat, selbst Entscheide zu fällen.
Kurz: Wir versuchen, am eigenen Kind etwas gut zu machen, was wir zuerst unserem inneren Kind zugestehen müssten. Deshalb sollten Eltern bei sich selbst ansetzen, begreifen, was sie brauchen und neue Rituale der Selbstfürsorge finden. Denn: «Wir können unseren Kindern nur das geben, was wir uns auch selbst zugestehen.»
Muss ich nun jedes Wort auf die Goldwaage legen, damit Tochter und Sohn keine negative Schemaprägung davontragen? Gitta Jacob entwarnt: Natürlich habe die Kindheit Einfluss, doch nicht aus jeder negativen Erfahrung entstehe ein Trauma. Anders gesagt: Es ist normal, sich anzubrüllen oder mal nicht miteinander zu reden.
Kinder müssen lernen, mit schwierigen Situationen umzugehen, Streit und Uneinigkeiten gehören zum Leben. Wichtig sei jedoch, dass Kinder wissen: Meine Eltern haben mich bedingungslos lieb – egal, was passiert. Manchmal rappelt es zwar kurz, aber dann ist es auch wieder gut. «So lange diese Basis stimmt, ist alles andere zweitrangig.»