Mögliche Antworten finden sich hinter einer schnöden Glastür. Auf dieser steht mit blau-oranger Schrift: «Willkommen im BabyLAB». Darüber schwebt die Silhouette eines Babys, über dem eine leere Sprechblase prangt. Im Zimmer mit den vielen Spielsachen, die die Wartezeit bis zum Test überbrücken sollen, sitzen an diesem Morgen noch vor dem Corona-Lockdown in Europa der neun Monate alte Kasper und seine Mama Georgia Lautner, 33 Jahre alt. Sie erzählt: «Wir sind heute zum vierten Mal zu Besuch. Ich finde es sehr gut, was man hier erforscht. Es ist spannend zu sehen, wie mein Kind auf die Tests und die Situation reagiert.» Denn Kasper agiere «je nach Tagesform und den jeweiligen Aufgaben». Auf das Ergebnis der aktuellen Studie freut sie sich besonders. Die wird wohl 2021 publiziert.
Babys als Forschungsteilnehmer
Jetzt nimmt sie ihrem Sohn einen rotweissen Stoffwürfel aus der Hand, den er sich gerade in den Mund stopft und sagt: «Nein, Kasper, das lassen wir bitte mal bleiben. » Dann ist es an der Zeit für den heutigen Test. Mutter Lautner hebt ihr Kind auf den Arm und geht mit ihm ins Blickbewegungslabor, Raum 1.23. Darin steht in einer Ecke ein 27-Zoll-Monitor mit einer aufgesteckten Minikamera und Lautsprechern. Kasper darf es sich gleich auf dem Schoss der Mama bequem machen und auf einen Bildschirm schauen. Georgia Lautner setzt sich eine abgeklebte Brille auf die Nase, damit der Junior nicht einfach die Blickrichtung der Mutter kopiert. Denn: So würde die Messung verfälscht.
Mit im Raum sind Laborleiter Tom Fritzsche, der sich seit Jahren um die Materie kümmert, und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Pia Müller, die den Test durchführt. Eben hat sie noch schnell das rote «Experiment läuft»-Schild von aussen an die Tür gehängt.
Fritzsche erklärt, was jetzt passiert: «In der Studie erlernt Kasper zwei neue Wörter, die sich relativ ähnlich sind. Er sieht dazu auf dem Bildschirm zuerst links einen neuen, unbekannten Gegenstand. Jener bewegt sich auf und ab, damit es interessant bleibt. Sechs Mal fällt dessen vermeintlicher Name ‹Deek›. Danach erscheint rechts ein weiteres, neues Objekt. Das heisst ‹Diet›.» Danach zeige das Programm beide Objekte und es falle ein Wort, das mit beiden nicht genau übereinstimmt, jedoch sehr ähnlich klinge wie ‹Deet›.
«Durch seine Blicke auf beide Objekte, die ein System mit dem Namen Eyetracker erkennt und misst, überprüfen wir, ob er dieses dritte Wort systematisch mit einem der zwei Elemente verbindet», erklärt Müller.
20 Minuten im Einsatz
Dazu existiert die Arbeitshypothese der Konsonantenverzerrung. Darunter verstehen Experten die Tendenz, sich bei der Verarbeitung von Wörtern mehr auf Konsonanten als auf Vokale zu verlassen. Das bedeutet, dass Kasper dann wohl mehr auf das rechte Objekt «Diet» schaut, weil dort die Konsonanten übereinstimmen – nicht aber der Vokal. Fischt der junge Geist des Buben die korrekten Daten aus der audiovisuellen Infoflut – und versteht die Sache mit den Konsonanten? Experte Tom Fritzsche glaubt, «dass Kinder die richtigen Gegenstände assoziieren». Genaueres weiss er erst, wenn die Tests mit 24 Kindern enden.
Mutter und Kind ruckeln sich jetzt kurz auf dem Stuhl vor dem Eyetracker-Bildschirm zurecht. Dann ertönt der erste Satz: «Schau mal, ein Deek! Das ist ein Deek.» 20 lange Minuten folgen die Augen des Kleinen den Clips, die Müller für ihn auf dem PC abspielt. Schaut Kasper davon gelangweilt nicht mehr auf den Bildschirm, ertönt eine kurze Tonfolge, die die nächste Aufgabe startet. Dann ist es geschafft. Kasper vertont das Testende mit einem kleinen Juchzer, gefolgt von Miniglucksern.
Erstaunlich, dass das Baby die gesamte Zeit über tapfer bei der Sache blieb. Das fiel auch der Mama auf. «Heute war ein guter Tag», freut sie sich. Auch Pia Müller ist zufrieden und ruft dem Partizipantenpaar zu: «Dankeschön, das war prima!» Über ihr Tun im Dienste der Wissenschaft sagt die 22-jährige Psychologiestudentin: «Ich finde das Forschungsterrain sehr spannend. Denn ab wann nehmen Kinder Worte und Laute exakt wahr?»
Das Experiment des Pharaos
Die Frage nach dem Ursprung der Sprache beschäftigt uns Menschen. Woher hat die Gattung Mensch sie eigentlich? Weshalb interessieren wir uns so sehr für das Thema? Nun, hier geht es um das Innerste unseres Seins. Schon in der Bibel heisst es im Evangelium des Johannes: «Im Anfang war das Wort und das Wort war Gott.»
Mehr als 600 Jahre vor Johannes dachte sich dazu im heutigen Ägypten Pharao Psammetich I ein interessantes Experiment aus. Dessen Zweck es sein sollte, herauszufinden, was die Ursprache der Menschheit sei. Höchst verwerflich setzte er dazu zwei Neugeborene in der Wildnis aus und überliess sie den Urgewalten. Betreut wurden sie von Palastmitarbeitern, die jedoch nicht mit ihnen sprachen. Welche Laute welcher Sprache würden sie dort wohl so erlernen? 24 Monate später holte man die Kleinkinder an den Hof zurück. Ihr Wortschatz bestand aus einem «bek bek», wahrscheinlich eine Kopie des in der Wildnis gehörten Ziegenmeckerns. Nur bedeutete in der Sprache des Königs «bekos» eben auch Brot. Somit hatte er vermeintlich endgültig bewiesen: Die Ursprache der Menschheit war die in seinem Land verwendete Sprache.