Im Alltag wird vielleicht nicht so sehr auf gute Tischsitten geachtet, an Weihnachten umso mehr. Da sollen die Manieren glänzen wie das Festtagsbesteck – kann das gut gehen?
Die Silberlöffel glänzen doch auch nur, wenn man sie rechtzeitig poliert. Darum hat es keinen Sinn, am 24. von allen zu erwarten, dass sie plötzlich kniggekonform am Tisch hocken. Man sollte den Kindern vorher vermittelt haben, dass besondere Anlässe besonderes Benehmen erfordern. Wenn das nicht machbar ist, hilft es nur, möglichst viel eigene Grazie an den Tag zu legen, darüber hat man wenigstens Kontrolle: dafür sorgen, dass alle sich wohlfühlen, über schlechtes Benehmen der anderen hinwegsehen, Humor. Es sind ja nicht unbedingt die Kinder, die sich schlecht benehmen, es gibt ja auch sehr viel Halsstarrigkeit bei Erwachsenen.
Sind uns die guten Manieren verlorengegangen?
Ich würde statt Tischmanieren lieber von Tischkultur sprechen: Die beginnt beim Einkauf, der Zubereitung von Essen, einer gemeinsamen Mahlzeit. Und gilt für jeden normalen Wochentag, das ist für mich das wichtigere Erziehungsziel – auch wenn ich mich zugleich vergeblich am Ellenbogen abarbeite.
Der Ellenbogen lässt sich vielleicht noch diskret vom Tisch schieben – so einfach geht das mit Worten nicht. Wie reagiere ich, wenn wir eingeladen sind und das Kind verkündet, dass es ihm nicht schmeckt?
Sagen Sie ein paar entschuldigende Worte zum Gastgeber und finden Sie irgendeine Komponente, die dem Kind mundet – eine Kartoffel wird ja wohl dabei sein.
Ewiger Streitpunkt ist auch immer wieder der Zeitpunkt der Bescherung: Die Kinder quengeln, sie wollen vor dem Essen die Geschenke öffnen – Oma besteht darauf, dass das schon immer danach geschah. Wem gebe ich nach?
Bescheren Sie unbedingt vorher, dann kann man hinterher in Ruhe das Essen geniessen. Warum soll man denn alle kasteien – die Kinder mit der Warterei, die Erwachsenen mit genervten Kindern?
Wenn ich als junge Familie zum ersten Mal die Grosseltern zu Weihnachten einlade: Ist es in Ordnung, eigene Gepflogenheiten einzuführen, oder sollte man aus Respekt denen der älteren Generation folgen?
Ach, da braucht man doch keine Show an den Tag legen. Die Grosseltern erfreuen sich an den Enkeln und an dem guten Essen. Und falls sie es nicht tun, dann hat man ein Problem, das man auch mit dem besten Master
of Ceremony nicht lösen kann.
Und umgekehrt: Wie sehr darf ich als Grosselternteil in die Gestaltung der Festlichkeiten eingreifen? Darf ich sagen, wenn mir was nicht passt? Wenn etwa keine Weihnachtslieder gesungen werden?
Wenn mir etwas wirklich wichtig ist – wie etwa der Wunsch, zu singen – dann sollte ich das vorher mit den Gastgebern und den anderen Gästen absprechen. Dann kann man gemeinsam etwas planen. Was den praktischen Teil angeht, da sollte man die Gastgeber nicht mit Kleinkram belästigen, sondern lieber Hilfe anbieten.
Meine Schwiegermutter redet mir an Weihnachten noch mehr rein als sonst. Wie weise ich sie höflich in ihre Schranken?
Ich würde die Schwiegermutter schon im Vorfeld mit einspannen. Sie möchte singen? Wunderbar, dann kann sie sich um Liedauswahl, Noten und Pianobegleitung
kümmern. Sie mag einen bestimmten Wein? Soll sie ihn doch mitbringen. Sie will in eine bestimmte Messe? Nur zu, sie kann gerne die Kinder mitnehmen. Und wenn ihre Vorstellungen zu unpraktisch werden, kann man das auch offen so sagen.
Die Oma hätte ihre Enkelin so gern im Samtkleid gesehen und rümpft die Nase, die kleine Ruth trägt nämlich lieber Hoodie zum Fest. Was tun? Die Kinder in Festtagskleider zwingen?
Die Zeiten, an denen man Kinder ins Schottenkleid zwingen konnte, sind schon lange vorbei. Ich würde Smart Casual als Grundlage nehmen, darüber hinaus macht sich jeder so schick, wie er es gerne hätte.