Michael Gohlke (44)
Das Zürcher Ehepaar Gohlke teilt Haushalt, Kindererziehung und Arbeit gleichmässig untereinander auf. Was ihre drei Kinder davon halten, erzählen sie während eines Mittagessens.
Die Wohnungstüre fliegt auf. Es ist Mittwochmittag, kurz vor zwölf, als Yanick Gohlke zur Türe hereinstürmt, seinen Rucksack fallen lässt und den Mann in der Küche fragt, was es denn zu essen gäbe. Eine Frage, die der 13-Jährige seinem Vater zwei Mal wöchentlich stellen darf. Denn: Mittwoch und Donnerstag ist Michael Gohlke Hausmann. Freitag ist er Informatikassistent. Die restlichen Tage macht er eine Ausbildung zum Kindergärtner. Gohlke teilt sich die Hausarbeit sowie die Verantwortung für die Familienkasse mit seiner Frau Sandra. Die beiden leben ein sogenannt «egalitäres Familienmodell », und das schon seit dreizehn Jahren.
Was für Gohlkes längst normaler Familienalltag bedeutet, ist immer noch eine Ausnahme. In der Schweiz steht an einem Mittwochmittag, kurz vor Zwölf, meist die Frau am Herd. Neun von zehn verheirateten Männern mit Kindern arbeiten hierzulande Vollzeit. Auf der weltweiten Gleichstellungsrangliste des WEF dümpelt die Schweiz deswegen seit drei Jahren auf dem Platz zehn hinter Nicaragua und den Philippinen.
Mit der Messerspitze schiebt Gohlke Kartoffelschnitze ins siedende Wasser und bittet seine Söhne, den Tisch zu decken. Yanick sucht sein Handy. Sein zehnjähriger Bruder Sascha blickt in die Kochtöpfe und die Kleinste, Jule, drei Jahre, turnt auf der Couch herum. Väter in der ständigen Ernährerrolle bekommen die Entwicklung ihrer Kinder nur in kleinen Rationen mit. Sie verzichten meist auf das erste Lächeln, das erste Wort und die ersten Schritte ihrer Kinder. Im Gegenzug verzichten die Frauen im traditionellen Modell auf ihren Beruf. So viel ist klar: Ein egalitäres Familienmodell erhöht die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Doch was bedeutet es eigentlich für die Kinder?
«Die meisten Kinder bevorzugen jenes Familienmodell, das sie kennen», sagt Margret Bürgisser. Zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Diana Baumgarten befragte die Soziologin siebzig Kinder aus verschiedenen Familienmodellen zu eben diesem Thema. Die Expertin kommt zum Schluss: «Die meisten Kinder reflektieren ihre Familienform kaum.» Aber: Bürgisser stellt auch fest, dass Kinder aus egalitären Familien ihrer Familienform freudiger zustimmen. Yanick etwa schätzt die Anwesenheit beider Eltern vor allem deshalb, weil sie Abwechslung bringt.
«Mit Mama schwimme ich gerne und mit Papa gehe ich klettern», erzählt Yanick, während er die Gläser aus der Küche holt. Mama sei ein Angsthase – und Papa wasserscheu. Er liebe die Abwechslung, sagt Yanick. Und sein Vater sagt: «Ich glaube schon, dass sich meine Frau und ich in Sachen Kindererziehung ganz gut ergänzen.»
Auch Bürgisser vermutet, dass Kinder aus egalitären Familienmodellen eine vielfältigere Erziehung geniessen. Kinder können die beiden Verhaltensmuster ihrer Eltern vergleichen, kopieren und allenfalls hinterfragen. Vor allem auch in Konfliktsituationen verfügen die Kinder über Ausweichmöglichkeiten. Klar verursacht der ständige Wechsel zwischen verschiedenen Rollen auch Probleme: So versuchen Kinder, die Eltern zuweilen gegeneinander auszuspielen. Eine gute Kommunikation zwischen den Elternteilen, sagt Bürgisser, sei deswegen wichtig. Ein egalitäres Familienmodell ist für die Entwicklung der Kinder aber grundsätzlich positiv – und nicht nur das.
Väter in egalitären Rollen hätten meist eine tiefere emotionale Bindung zu ihren Kindern, sagt Bürgisser. Ihrer Studie zufolge profitiert die Vater-Tochter-Beziehung am meisten. Traditionelle Väter haben weniger Zeit für ausführliche Gespräche mit ihren Kindern. Und das vermissen vor allem ihre Töchter.
Nach dem Essen verschwinden Yanick und Sascha in ihren Zimmern – und Jule turnt zwischen Papas Beinen herum. «Ich denke», sagt Gohlke, «dass ich eine engere Beziehung zu meinen Kindern habe als andere Väter.» Gohlke weiss von den alltäglichen Sorgen seiner Kinder, kennt den Lieblingspullover seiner Tochter und das Game,das bei den Jungs gerade angesagt ist. Manchmal weiss Gohlke am Abend nicht wirklich, was er mit den Kindern den ganzen Tag über gemacht hat. Ihn beschäftigten halt oft solche unspektakulären Momente wie diese, sagt Gohlke, während er auf Jule zeigt, die gerade auf seinen Knien herumturnt. Doch auf eben diese Momente, ergänzt er, komme es an.
Vom Modewort «quality-time» hält Gohlke nichts. Er findet, dass bei der Erziehung für einmal nicht die Qualität im Vordergrund stehe – sondern die Quantität.Klar sei es schön, mit seinen Kindern in den Zoo zu fahren. Aber: Wer seine Kinder wirklich verstehen wolle, müsse sie in Alltagssituation erleben.
Klar ist aber auch: Wer mehr zu Hause ist, muss mehr Konflikte aushalten. Und im Konfliktverhalten, heisst es in Bürgissers Studie, haben Hausmänner mit Kindern noch aufzuholen. Egalitäre Väter seien oft konfliktscheuer, als traditionelle. Das kann daran liegen, dass Hausmänner ihre Konflikte mit den Kindern austragen müssen – und berufstätige Väter eben nicht.
«Pipi Langstrumpf!», bettelt Jule wiederholt. Die Kleine möchte sich den DVD anschauen. Als Gohlke ihr es verbietet, beginnt sie zu schmollen. «Solche Momente gehören dazu», sagt Gohlke, während es an der Wohnungstüre klopft. Ein Freund von Gohlke kommt zur Tür herein.
Der Zugang zu einem grösseren Netzwerk, sagt Bürgisser, sei ein grosser Vorteil egalitär organisierter Familien. Eine grössere Vielfalt von Arbeitskollegen und Bekannten sei eine Chance für die Kinder. Sie haben mehr Inspiration, mehr Abwechslung und mehr Möglichkeiten. Und klar, sagt Bürgisser, so ein breites Beziehungsnetz tut auch den Eltern gut.
Bürgisser vermutet: Eine egalitäre Arbeitsteilung verhindert Scheidungen. Führen beide Ehepartner ein ausgefülltesLeben, zweifeln sie tendenziell weniger an ihrer Beziehung. Nicht nur deshalb hofft Gohlke, dass seine Kinder dereinst ihr Familienmodell übernehmen werden. Yanick, der nächstes Jahr aufs Gymnasium gehen wird, hat sich darüber aber noch keine Gedanken gemacht. Vielleicht, sagt Yanick, gewinne er ja mal im Lotto, kaufe sich eine Insel – und arbeite gar nicht.
Sven Broder (37)
Der Kolumnist und Buchautor über den Sinn von Teilzeitarbeit, was seine Kollegen dazu sagen und warum viele Männer lieber im Büro sitzen als zu Hause.
Viele Männer in der Schweiz wollen es, aber nur wenige tun es: Teilzeit arbeiten. Hier setzt das Projekt «Der Teilzeitmann» an: Es will Männer und Unternehmen für Teilzeitarbeit gewinnen. Eine Wanderkampagne mit Vorbildmännern macht kostenlos Halt in Unternehmen. Angeboten wird eine Mittagsveranstaltung, an der die Mitarbeiter mehr zum Thema erfahren. Auf www.teilzeitmann.ch findet man viele Grundlageninformationen wie «5 Schritte zur Teilzeit» sowie Inputs, wie andere Männer ein reduziertes Pensum erreicht haben und wie es ihnen damit geht. Dazu listet die Internetplattform www.teilzeitkarriere.ch alle Teilzeitstellen auf, die in der Schweiz online angeboten werden. Das Projekt setzt stark auf Facebook und Twitter. Träger des Projekts ist männer.ch, die Finanzierung übernimmt der Bund.
Leseempfehlung

«Wie Babys essen lernen»
Keinesfalls Brei füttern, bevor das Baby sechs Monate alt ist und strikt mit Rüebli starten? Sieben Mythen rund um den Babybrei.
Zum Artikel

«Mein Körper fällt auseinander»
Echt jetzt?! Die Journalistin Lilla Lukacs hadert als junge Mama mit ihrem Aussehen und hat eine Rektusdiastase. Wieso nur redet niemand darüber, dass ein guter Drittel der Frauen schon nach der ersten Geburt unter einer Diastase leidet?
Zum Artikel

