Viele Eltern nutzen zum Beispiel Fingerverse in der Kommunikation mit ihrem Baby. Warum fällt das mit einem solchen Vers so einfach?
Das Gesicht und die Finger gehören zu den ausdrucksstärksten Körperteilen. Die Finger sind ein Wunderwerk an Ausdruckskraft und Geschicklichkeit. Das Ausdrucksspektrum des Gesichts ergänzt das noch, denn kein Finger- ohne Mienenspiel. Diese Kombination ist gewissermassen unschlagbar, gäbe es da nicht den Tanz, bei dem der ganze Körper zum Einsatz kommt.
Aber das Fingerspiel fokussiert die Aufmerksamkeit aufs Kleine, aufs Überschaubare, ein Sprach-Figuren-Theater für Kinder. Das Sprechen, die Worte und Wendungen des Verses und des gesamten Gedichtes bekommen Körperrhythmus. Dabei wird Sprache körperlich und der Körper wird sprachlich, denn die Finger tanzen mit.
Wie würden Sie dieses Volksgut abgrenzen von Gedichten, die Sie und andere zeitgenössische Autoren verfassen?
Kleine Reime und Verse haben nicht selten einen konkreten Kontext, in dem man sie verwenden kann. Sie sind gewissermassen situativ konnotiert, während Kindergedichte sich, auch wenn sie ähnlich situativ angelegt sein können, aus dem Alltagskontext lösen, also eher ein Gegenüber zu diesem bilden. Pädagogisches, Ratschläge und Ähnliches finden sich in Reimen und Versen eher und anders als in heutigen Gedichten, die den aufklärerisch-pädagogischen Impetus wohl eher unterwandern und infrage stellen möchten.
Kinderlyrik ist ein Nischenmarkt. Bleibt das so oder sehen Sie ein wachsendes Interesse und wenn ja, warum?
Kinderlyrik liegt am Beginn literarisch-künstlerischer Bildung. Gleichzeitig stellt sie diese elementar in Frage. Aus dieser Spannung heraus ist sie ein Gut und eine Form der Freiheit, die der Mensch braucht, um sich geistig und menschlich zu entwickeln. Das erkennen insbesondere kleinere Verlage, die sich nicht dem Marktdruck beugen. Solange diese finanziell gefördert werden, steckt in der Nische das Potenzial der Veränderung. Mehr ist von Kunst nicht zu erwarten.
Im Jungbrunnen-Verlag erscheint Anfang nächstes Jahr ein Kindergedichtbildband «Wer als erster?» von Ihnen. Ein kleiner, sehr engagierter Verlag, oder?
Ja, auf alle Fälle. Ich kenne den Verlag, seit ich lesen kann. Und weil Sie vorhin fragten: Das Interesse an Kinderlyrik, scheint mir, ist durchaus gestiegen. Doch darf man den Markt nicht mit substanziellem Interesse verwechseln. Wahres Interesse zeigt sich allein am lustvollen Umgang, in der kritischen Auseinandersetzung, diese kann von Einzelnen jederzeit erlebt und erfahren werden. Die Nische ist immer eine Auszeichnung. Das Interesse hängt immer vom Einzelnen ab. Das heisst, los, sofort, wann immer es passt, zum Gedicht!