Ein paar Monate nach dem Elternbildungsabend rufe ich Joachim Zahn an. Warum nochmal, Herr Zahn, gehört Gamen zum Aufwachsen heute einfach dazu? «Gamen ist eine neue Kulturtechnik, eine Möglichkeit, die Freizeit zu verbringen, wie Schwimmengehen. Es braucht deshalb bei allen eine Auseinandersetzung mit dieser Kulturtechnik», erklärt er. Genau hier hapere es aber noch: Ist etwa beim Velofahren-Lernen allen klar, dass hier Elternhaus, Schule und Schulpolizist ihren Beitrag leisten, um das Kind zum sicheren Verkehrsteilnehmer zu machen, gebe es beim Gamen noch kein Volkswissen, kein Repertoire, keine Kultur, wie man das begleiten solle. Ein grosser Teil der heutigen Eltern von Schulkindern habe keine eigenen Erfahrungen mit Games. «Sie sind unsicher und unbeholfen. Sie können dem nichts abgewinnen, weil es fremd ist.» Tatsächlich: Umfragen haben gezeigt, dass Eltern wenig Positives von Videospielen erwarten. Doch das Gamen einfach abzulehnen, liegt nicht drin in Zeiten, in denen Jubeltänze aus einem Videospiel Teil der Popkultur sind und das Zocken den Status Kulturtechnik erlangt hat.
Zahn rät Eltern, Gamen nicht per se als Problem zu sehen (Stichworte: Suchtgefahr! Aggressionen! Zeitverschwendung! Bildschirm-Fixierung!), sondern «Pro-Argumente fürs Gamen zu finden». Dies fällt mir zugegebenermassen schwer, als ich mit meinen Kindern im Stadtmuseum Aarau die Ausstellung «Play» rund ums Thema Games besuche und sich die beiden kaum mehr von den Konsolen und Touchpads lösen, auf denen Besucherinnen und Besucher spielen dürfen. Noch nie war es so schwierig, meine Kinder aus einem Museum zu bekommen, und so erstaunt mich auch der von Herzen kommende Satz meines Sohns nicht: «Gamen ist cool!» Warum eigentlich, Herr Zahn? «Videospiele bedienen urmenschliche Triebe und archaische Bedürfnisse», sagt der Sozialarbeiter und Medienpädagoge. «Je nach Spiel muss man abwehren, wegrennen, bauen. Das schafft eine Erregung, das gibt Adrenalinschübe. Das tut gut! Wo findet das ein Kind sonst noch? In unseren Quartieren, die so clean sind, dass es nicht mal Laubhaufen hat? Hier kann man ja nicht mal mehr Indianerlis spielen.»
Am Elternbildungsabend formuliert Joachim Zahn einen Ratschlag in Bezug auf Games und generell die neuen Medien, den ich mir zu Herzen nehme: Als Eltern müssen wir unsere Kinder schützen und sie befähigen, sich informiert in der Welt der Neuen Medien zu bewegen. Damit wir das tun können, müssen wir mitmachen, uns bilden, uns austauschen, ausprobieren. Wie sagte schon die deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin Kirsten Boie in einem Interview mit «wir eltern»: «Ich sammle Erfahrungen in Bereichen, die für junge Menschen wichtig sind. Wir müssen Dinge kennen, um den Reiz zu begreifen.» Wie Kirsten Boie, die 2020 übrigens 70 Jahre alt wird, sollten es alle Eltern machen: Gamen, soziale Netzwerke auskundschaften, Erfahrungen sammeln, verstehen. Und das Kind begleiten. So beeindrucke ich meine Söhne, weil ich weiss, was «Skins» und «V-Bucks» sind, nämlich das käufliche Erscheinungsbild des «Fortnite»-Avatars respektive die Ingame-Währung. Mir können sie nicht erzählen, «Fortnite» sei ab 12, da ich weiss, dass es darüber eine Kontroverse gibt und dass «Fortnite Battle Royale» im Nintendo eShop erst ab 16 freigegeben ist. Und auf YouTube kann ich mir auch ohne selbst zu spielen ein Bild davon machen, wie «Fortnite» aussieht und es mir von einem versierten Gamer erklären lassen («Fortnite erklärt für Eltern» von YouTuber Minutus).