Vor 100 Jahren war es selbstverständlich, dass Kinder nicht immer von Erwachsenen beaufsichtigt und betreut wurden, denn ein Haushalt ohne Waschmaschine, Staubsauger und Elektroherd machte eine Menge Arbeit. Unsere eigenen Mütter wiederum waren immer noch viele Stunden pro Woche damit beschäftigt, die saubere Wäsche im Schrank akkurat zu stapeln und führten hin und wieder ein längeres Telefonat, während dem sie sich dann nicht mehr als zwei Meter von der Telefonsteckdose entfernen konnten. Die Väter waren entweder bei der Arbeit, im Hobbyraum oder in Zeitungen vertieft.
Ständige Erreichbarkeit
Heute arbeiten viele Eltern Teilzeit, zunehmend auch Väter, wenn auch in höheren Pensen als die Mütter. Von beiden wird oft erwartet, dass sie auch erreichbar sind oder digital kommunizieren, wenn sie ihre Kinder betreuen, sodass sie nicht zum Sand im Arbeitsgetriebe werden. Wer Büro-Mails am freien Tag beantwortet, signalisiert: «Ich bekomme trotz Teilzeitarbeit mit, was läuft.» Gleichzeitig erschwert die ständige Erreichbarkeit die Abgrenzung zur Familienzeit. «Mit dem Handy bin ich an meinem Papi-Tag immer versucht, auch an die Arbeit zu denken», sagt Wampfler. «Wenn ich dann merke, jetzt war ich den halben Morgen am Arbeiten, statt mit den Kindern zu spielen, ist das schade.» Eltern müssten sich deshalb selbst Regeln geben, nicht zuletzt weil sie immer auch Vorbilder sind für die eigenen Kinder.
Aber selbstverständlich: Es ist nicht nur der Job, der Eltern in die digitale Welt saugt. Mit dem Handy wird der Mama im Büro das drollige Foto von «Kind und Hund im Pappkarton» geschickt, online wird geklagt, dass der Sohn vergangene Nacht gefühlte 1000 Mal aufgewacht sei – sehr oft geht es um Kommunikation, Kontakt, Austausch. Das tut gut, denn Elternsein ist manchmal ein einsamer Job. Das Sozialleben hat sich verändert – wer kann mit Kindern noch mehrmals wöchentlich zum Sport oder zum früher üblichen Feierabend-Bier? Wer den ganzen Tag mit den Kindern ist, hat oftmals einen akuten Mangel an gehaltvollem Erwachsenen-Feedback. Ein kurzer digitaler Austausch kann die Welt wieder ins richtige Licht rücken. Ein schlechtes Gewissen solle man deswegen keinesfalls haben, findet Wampfler, «Beziehungen zu pflegen gehört zu einem guten Leben dazu.»
Väter surfen anders als Mütter
Und hier zeigt sich plötzlich, dass Väter und Mütter zum Teil völlig anders unterwegs sind im Netz. Mamis gründen Facebook-Gruppen und schliessen Väter davon aus schreiben Blogs und zeigen darauf «unser Wochenende in Bildern», Kinderzeichnungen oder die neueste Sonnenbrille von Prada. In Foren diskutieren sie den Trisomie-21-Test, Beziehungsprobleme und jeden Mückenstich des Babys. Männer hinterlassen hier kaum Spuren, auf jeden Fall nicht in Form von Kommentaren. Sie verhalten sich, als würde sie dies nichts angehen, und auf viele mag das zutreffen, aber nicht auf alle. «Männer nutzen die Foren auch – zum informellen Lernen im Netz», sagt Wampfler. Das heisst: Sie suchen, ganz Mann, nach Lösungen und lesen, was es zu Themen wie Kinderkrankheiten, Schlafen oder Ernährung gibt. «Ohne Internet kann man bei manchen Themen kaum mehr eine informierte Entscheidung treffen», findet Wampfler. Diskutiert oder ausgetauscht wird aber kaum. «Männer haben weniger Übung darin, da gibt es sicher geschlechterspezifische Unterschiede. Indem wir Männer mitlesen, wird uns aber klar, welchen Wert diese Art von Austausch hat.»
Väter gehen auch ins Netz, um sich über ein strahlungsarmes Babyphone zu informieren, wenn sie von einem Teddybären mit Kamera-Augen zur Kinderüberwachung hören oder dem Sohn zum 2. Geburtstag eine Drohne schenken wollen. Diskutieren sie im Netz, dann am ehesten über gesellschaftliche und politische Fragen, wie die neue Väterrolle, Teilzeitarbeit oder den Vaterschaftsurlaub.
Das Recht aufs eigene Bild
Oder Kinderfotos im Netz, ein Thema, das mit zuverlässiger Regelmässigkeit auf verschiedensten Plattformen hochgespült wird, so auch wieder vergangenen Frühling in deutschen Blogs. Auf jeden Fall sollte man sich die Frage stellen, ob das Recht aufs eigene Bild nicht auch für die Kinder gilt und welche Folgen es für Sohn oder Tochter später im Teenageralter haben wird, wenn die Klassenkameraden die ganze Kindheit im Internet vorfinden. Anderseits könnten Eltern, die ihre Kinder konsequent nirgendwo im Internet erwähnen, auch mit der Frage konfrontiert werden: «Mama/Papa, habt ihr euch eigentlich für mich geschämt oder warum habe ich bei all eurem Internetleben überhaupt nicht stattgefunden?» schreibt Blogger Steve auf steve-r.de. Johnny Häussler von spreeblick.de spinnt den Gedanken weiter: «Wenn wir Kinder gar nicht mehr stattfinden lassen im Netz, wenn wir ihre Existenz im Digitalen also quasi negieren, dann sind sie auch kein sichtbarer Teil der Gesellschaft mehr, und das wäre fatal.»