Stress: Gift für Fötus
Doch der pathologische Blick auf die Schwangerschaft und die zahlreichen Kontrollen haben noch gravierendere Folgen. «Schwangere zahlen für den vermeintlichen Schutz, den die vielen Routineuntersuchungen bieten sollen, einen hohen Preis, denn die oft damit verbundenen Ängste und Sorgen können rasch in einen anhaltenden Stresszustand münden», weiss Beatrix Angehrn Okpara, leitende Hebamme im Geburtshaus Bäretswil ZH. Viele Frauen berichten, dass sie über Wochen angespannt waren, weil die Ärztin mit gerunzelter Stirn und Blick auf den Bildschirm geäussert hatte, das Köpfchen sei etwas klein, deswegen eine weitere Untersuchung anordnete oder sonst irgendeine Diskrepanz aufgespürt hatte. Stress, das weiss man heute, hat eine direkte Wirkung auf die Blutzuckerwerte; das ist weder für die Mutter noch für das Kind gut, wobei die Konsequenzen für das Kind schlimmer sind, Stichwort fetale Programmierung. Immer mehr Forschungsbefunde deuten darauf hin, dass einschneidende Belastungen während der Schwangerschaft bleibende Spuren im Gehirn des Ungeborenen hinterlassen können.
Manche Frauen haben sich aus diesem Grund entschieden, sich und ihre Schwangerschaft einer Hebamme anzuvertrauen. Dass Hebammen auch Schwangerschaftskontrollen machen dürfen, wissen viele Frauen nicht. Bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts gehörten die Vorsorgeuntersuchungen ganz selbstverständlich zum Tätigkeitsbereich der traditionellen Geburtshelferinnen. Doch in den 1960er- Jahren wurde es plötzlich modern, für die Geburt ins Spital zu fahren, wo Gynäkologen die Hoheit über die urweibliche Fähigkeit, ein Kind zu gebären, erlangten. Die Dorf- oder Stadthebamme, die die Frau bisher ganzheitlich durch Schwangerschaft und Geburt begleitet hatte, starb nahezu aus. Und hinterliess eine Lücke. «Bei vielen Frauen ist neben den körperlichen Untersuchungen das Bedürfnis nach einem Gespräch gross», sagt Barbara Stocker Kalberer, Präsidentin des Schweizerischen Hebammenverbands, «oft fehlt als Folge der zahlreichen Tests das Vertrauen in den eigenen Körper, viele Frauen sind von Ängsten geplagt.» Deshalb arbeiten heute immer mehr gynäkologische Praxen mit Hebammen zusammen, manche haben sich beim Arzt eingemietet, andere erhalten einen fixen Lohn. Die Schwangere kann wählen zwischen der Kontrolle bei der Hebamme oder bei der Ärztin.
Kritisch diesem Modell gegenüber steht Barbara Schwärzler, seit 13 Jahren selbstständige Hebamme und eine von zweien, die in der Stadt Zürich Hausgeburten durchführt. «Die Frauen wollen heute den Fünfer und das Weggli: den Arzt für sämtliche Tests, die Hebamme für die Wellness, weil der Arzt keine Zeit hat, nicht-medizinische Fragen zu beantworten.» Damit werde das Konsumverhalten, das in der heutigen Gesellschaft grassiere, auch auf die Geburtshilfe ausgeweitet. Schwärzler ist jedoch der Ansicht, dass es um etwas anderes geht: «Eine Schwangerschaft ist ein Prozess, auf den sich die Frau einlassen und für den sie die Verantwortung übernehmen muss.» Wenn eine Frau oder ein Paar zum ersten Mal zu ihr kommen, reserviert sich Schwärzler zwei Stunden, um «einen guten Boden» zu schaffen und dem Paar klar zu machen, dass bei einer normalen Schwangerschaft nicht mehr viele Kontrollen nötig sind.
Denn schliesslich ist die Frau nicht krank, sondern einfach nur schwanger.