Ich machte dieses «Spiel» mit, das viel Schweres mit sich brachte. Denn es hat ihn geprägt, meinen Sohn. Die Freude, die Lust am Lernen, am Leichten, am Neuen, die Unbeschwertheit brach Stück um Stück weg. Und ich habe unser Familienleben geprägt. Streit, Tränen, Angst. Druck. Mach! Mach! Mach! Du schaffst das! Wenn du nur fleissig genug übst! Du musst nur wollen! Alle schaffen das! Streng! Dich! An!
Er wollte nichts von allem. Er entzog sich meinem Diktat, wann immer er konnte. Er schlüpfte durch Zeitfenster, Ritzen, Schlupflöcher. Er pflegte wann möglich den Müssiggang und die Selbstbestimmung. Alles, was wir bis zu seiner Einschulung gelebt und was ihn geprägt hatte. Doch jetzt machte es mich wahnsinnig.
Nach drei Jahren waren wir masslos erschöpft. Bei einem heftigen Streit sagte er zu mir: «Wenn ich dir nicht gut genug bin, dann zieh ich halt zu Papa.» Das war die Wende. Nicht, dass er zu seinem Vater ziehen wollte, war das Problem, er verbrachte sowieso viel Zeit bei ihm. Nein. Weil er dachte, er sei mir nicht gut genug. Dabei hatte ich mich doch genau deswegen engagiert! Weil er mir so wichtig war!
Da wurde mir klar: Ich musste loslassen. Aufhören. Ich musste uns beide diesem Diktat entziehen, verweigern. Ich musste lernen zu vertrauen, dass seine Power für ein gutes Leben reichen wird. An jedem Tag hatte er mir gezeigt, dass er sich nicht beugen lassen wird. Vordergründig vielleicht schon. Doch schaute ich weg, war er schon nicht mehr da.
Wollte ich verhindern, dass er sich nicht nur dem System, sondern auch mir endgültig entzog, musste ich den Schritt gehen. Und das tat ich. Und ich sagte es ihm. «Geh deinen Weg, ich bin sicher, du machst das gut. Wenn du mich unterwegs brauchst, ich bin für dich da.»
Das hatte Konsequenzen: Nie war ich unter diesen Eltern, die mit stolzgeschwellter Brust die schulischen Leistungen ihrer Kinder beklatschten, sich gegenseitig auf die Schultern klopften an den Schulabschlussfesten, wenn ihre Kinder die nächste Stufe mit Bravour schafften. Nie dabei, wenn sie Szenarien schufen, Zukunftskonstrukte bauten, Bilder, in ihren Köpfen gemalt, feierten.
Ich musste ertragen, dass sie nicht nachfragten, mich nicht in diese Gespräche einschlossen, von der Seite anschauten. Du hast es nicht geschafft, sagten die Blicke. Du hast versagt, sagten sie. Bist du eine uninteressierte Mutter? Ja, hast du dich denn so gar nicht gekümmert? Wir haben alles gegeben, sagten sie, haben keinen Aufwand gescheut, weder zeitlichen noch finanziellen. Dass ich durch diese stummen und lauten Vorwürfe keine guten Gefühle hatte, das war jedoch allein mein Problem.