Schöner Tag, gute Nacht
«Ich bin eine entschiedene Verfechterin von Struktur und Mittagsschlaf», sagt Danielle Bisig. Denn das Erste, was Eltern täten, wenn die Nacht zum Tag wird, sei, den Kindern etwas vom Mittagsschlaf abzuknapsen und zu früh die Vormittagsnickerchen zu streichen. Ein Fehler, findet sie. Ihrer Ansicht nach bräuchten Kinder noch bis weit ins Kleinkindalter hinein ausreichend Tagesschlaf. Sonst seien sie müde, quengelig, anstrengend, die Eltern dann ihrerseits ungeduldig und genervt. «Ohne einen schönen Tag, keine schöne Nacht», lautet ihr Credo. Hilfreich, um den Tag schön zu machen, sei eine Struktur. Regelmässigkeiten, erwartbare Abläufe für Kind und Eltern.
Das sieht auch Caroline Benz so. Sie ist Ärztin am Zürcher Kinderspital und Leiterin der Schlafsprechstunde. Ihre Herangehensweise ist eine medizinische. Zunächst wird abgeklärt, ob das Kind gesund ist. Meist ist es das. «Dann ermitteln wir den individuellen Schlafbedarf des Kindes.» Da nun kommen die Schlafprotokolle ins Spiel. Eingetragen wird, wann das Kind schläft , wann es schreit und wann es isst. Oftmals stellt sich dabei heraus, dass das Baby nur zwölf Stunden Schlaf brauchen würde, jedoch 14 Stunden von den Eltern ins Bett gesteckt wird. «Das kann nicht klappen», so Benz. Sei das ermittelt, schaue sie sich gemeinsam mit den Müttern und den«heutzutage sehr engagierten Vätern» den Ablauf eines üblichen Abends mit den Gewohnheiten an, die sich eingeschlichen haben.
Wird das Kind zum Einschlafen geschaukelt, herumgetragen, vielleicht sogar im Auto (um den Tennisplatz!) herumgefahren? «Dann wird das Baby dieses Szenario zum Wiedereinschlafen auch nachts verlangen, wenn es aufwacht.» Schaukeln, tragen, fahren – das ganze Programm. Und diese über Monate eingeschliffenen Gewohnheiten müssen weg. Doch das ist schwierig. Wie bei allen Gewohnheiten. Was jeder weiss, der sich mal das Rauchen abgewöhnt hat. Das braucht Unterstützung in harter Zeit.
Wir sind Helden
Die Zeit der 31-jährigen Syzana Memetis’ ist genauso hart wie die der anderen schlaflosen Eltern. Ilay ist zweieinhalb, Eliar sechs Monate alt, dazu ein 60-Prozent-Job in der Pflege. Und ja, auch sie und ihr Mann Hasan (33) hätten Ilay viel zu lang abends ruckelnd im Stubenwagen herumgefahren, Fehler gemacht wie alle Eltern. Auch jetzt noch sausen sie manche Nacht, wenn die Welt schläft, dummerweise ihre Kinder nicht, zwischen den beiden Söhnen hin und her.
Syzana und Hasan: zwei von den vielen Helden der Nacht. Doch die Nerven dieser beiden – Augenringe hin, Erschöpfung her– haben offenbar eine Legierung aus Stahl. Woher bloss? «Geholfen hat vielleicht, dass ich nie an mir als Mutter gezweifelt habe», lacht Syzana. «Ich wusste ja, was auf mich zukommt.» Als zweitälteste von sieben Geschwistern, darunter jüngere Zwillinge, habe sie schon als Mädchen bei den Kleineren mithelfen müssen und früh gelernt: Babys sind so. Süss, ja. Anstrengend, so was von. «Es hat mich einfach nicht kalt erwischt. Und Unterstützung habe ich auch.» Die Mutter, mit der sie regelmässig telefoniert, die Schwiegermutter, die täglich eine SMS schreibt: «Wie gehts dir so?», und die Enkel nur zu gerne betreut. Hasan, der als Sozialpädagoge schon von Berufswegen schwer aus der Ruhe zu bringen ist, und Freundinnen, mit denen sie walken geht: «Wenn möglich, zweimal die Woche.»
Auszeiten, Hilfe, Ehrlichkeit, das sind für sie die drei magischen Wörter, um irgendwie durchzukommen. Dazu viele, viele Gespräche mit dem Partner – und ein dickes Fell: «Dieser Satz, wenn ich mal über die Müdigkeit stöhne, ‹du wolltest die Kinder schliesslich›, macht mich immer noch megahässig – aber ich sortiere das dann einfach in die Kategorie «Blöde Sprüche» ein und denke an meine tollen Kinder.»
Eines davon klopft ihr gerade mit dem Hämmerchen aus dem neuen Arztkoffer nachdrücklich auf dem Knie herum und hört ihr das Herz am Oberschenkel ab. Erstaunlicher Befund: lebt noch. Trotz allem. Heldenhaft.