Schmerzender Po
Am Tag zwei im Sattel beginne ich, über die Vorzüge gepolsterter Radlerhosen zu fantasieren. Hätte ich mich bei der Wahl der Beinkleider doch für Komfort statt für Ästhetik entscheiden sollen? Zum Glück sind die Weser-Velowege gnädig mit mir. Schotterpfade gibts kaum. Meist rollt es sich wie auf Schienen.
Wir steuern Corvey an, eine schlossähnliche Klosteranlage aus dem Jahr 822. Schnurgerade führt die Strasse auf den imposanten Bau zu. Im Anhänger ertönt Protest. «Schon wieder eine Burg? Was ist jetzt mit diesen Märchen?» In Corvey gibt es aber so viel zu entdecken, dass der Ärger rasch verflogen ist. Vor allem von den finster dreinblickenden Statuen, die den Zugang zur Anlage bewachen, und den meterhohen Cheminées in den Zimmern sind die beiden tief beeindruckt.
Im Souvenir-Shop entdecke ich die Münchhausenerzählungen von Erich Kästner. Die perfekte Lektüre für zwischendurch, denn wir steuern als nächstes Bodenwerder an, den Geburtsort des Lügenbarons. Beim Mittagessen erzähle ich den Buben, wie Münchhausen sich und seinen Gaul an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen hat, wie er auf einer Kanonenkugel über das feindliche Heer geflogen ist und wie sein Pferd auf der Flucht vor den Türken sein Hinterteil verloren hat. Mit offenen Augen und Mündern lauschen die beiden den Erzählungen. «Gab es den Baron wirklich?» – «Oh ja, ungelogen!»
Doch bis Bodenwerder sind es noch 40 Kilometer. Eigentlich eine viel zu lange Strecke, wenn es unterwegs so viel zu sehen gibt. Zum Beispiel Polle, einen weiteren so genannten «staatlich anerkannten Erholungsort» entlang unserer Route. Dort thront auf einem Hügel die Burgruine Everstein. Schon von weitem hat sie uns angelockt. «Aschenputtelspiel von Mai bis September jeden dritten Sonntag im Monat», ist am Fuss des Hügels auf einem Plakat zu lesen. Es ist Donnerstag. Zum Glück haben die Jungs den Aushang nicht gesehen. Die Burg ist dennoch einen Abstecher wert – alleine der herrlichen Sicht wegen auf die satten Kornfelder und die Weser, unsere treue Wegbegleiterin.
Spät am Abend kommen wir endlich in unserem Hotel an. Und jetzt trifft uns der Nachteil einer Radtour mit Anhänger mit voller Wucht: Während wir Eltern hundemüde sind, drehen die Jungs nach einem Tag im Sitzen erst richtig auf. Gut, gibts unmittelbar neben unserem Restaurant eine Wiese, auf der sich die beiden austoben können. Wir belohnen unsere sportliche Leistung derweil mit Weissbier und Weisswein und trösten uns mit dem Gedanken, dass wir wenigstens tagsüber auf dem Velo nur unseren inneren Schweinehund überwinden müssen und nicht auch noch den der Kinder.
Bodenwerder ist bei Tageslicht betrachtet keine Schönheit und die Münchhausen-Spiele finden nur jeden ersten Sonntag zwischen Mai und Oktober statt. Heute ist Freitag. Aber das gleichnamige Museum ist geöffnet, in dem allerlei Kurioses sowie Erinnerungsstücke aus dem persönlichen Besitz des berühmten Barons ausgestellt sind. Der Besuch lohnt sich nur schon deshalb, weil Museumsführer Werner Koch Münchhausens Geschichten auf ganz köstliche Weise mit viel Schalk in den Augen zum Besten gibt. Ein grandioses Vergnügen für die Kleinen und die Grossen.