Denise Steiner* sitzt am Esszimmertisch und schaut sich die Wochenpläne ihrer beiden Söhne für die kommenden Tage an. Mit farbigen Feldern haben sie gemeinsam in diesen festgehalten, wann die Jungs Zeit für Hobbys und Freizeitaktivitäten haben, wann sie ihre Hausaufgaben machen und für Tests lernen müssen oder Therapie- und Arzttermine anstehen. «Diese Strukturierung des Alltags hilft unseren Kindern und verhindert, dass wir täglich neu über Abläufe diskutieren müssen», erzählt die 44-Jährige. Beim Lernen mit ihren Jungs bemüht sie sich, ihnen den Unterrichtsstoff möglichst anschaulich zu erklären. «Aber das kostet mich viel Zeit und Geduld, obschon sie durch ihr ADHS-Medikament deutlich konzentrierter sind.» Stösst Denise Steiner dabei an ihre Grenzen, löst ihr Mann sie ab. Die Eltern funktionieren gut als Team, ansonsten würden sie den Alltag mit ihren Söhnen nicht meistern.
Sind die Geschwister gereizt, wenn sie von der Schule nach Hause kommen, weil sie sich dort viele Stunden zusammenreissen mussten, dann dürfen sie sich beim Trampolinspringen oder im Pumptrack auspowern. Oder Jerome greift zu seinem Schlagzeug und Ari zu seiner Gitarre. «Wichtig ist, dass sie lernen, ihre Gefühle zu regulieren, statt uns als Blitzableiter zu nutzen», betont Vater René Steiner. Laut ihm benötigen beide Söhne klare Regeln. Halten sie sich nicht an diese, werden Freizeitaktivitäten gestrichen, das Tablet gesperrt oder die Gamezeit verkürzt. «Dadurch wollen wir ihnen aufzeigen, dass ihr Handeln Konsequenzen hat», so der 42-Jährige. In erster Linie versuchen die Eltern jedoch, den Blick auf die Stärken ihrer Söhne zu richten, deren Selbstwertgefühl zu fördern, sie zum Lernen zu motivieren und mit gemeinsamen Aktivitäten zu belohnen.
Doch bis sich die Familie diese «Normalität» im Alltag erarbeitet hatte, war es ein mühsamer Weg von einer Diagnose zur nächsten, mit Gesprächen und Therapien bei verschiedensten Fachpersonen: Bei Jerome, dem älteren Sohn der Steiners, stellt der Kinderarzt mit vier Jahren zunächst fest, dass seine Fein- und Grobmotorik nicht altersentsprechend ist. Deshalb erhält die Familie wöchentlich Besuch von einer Heilpädagogin. Durch gezielte Übungen kann sie die Motorik des Jungen deutlich verbessern. Doch der Therapeutin fällt rasch auf, dass Jerome ständig in Bewegung sein muss, leicht ablenkbar und wenig ausdauernd ist. Dies lässt sie vermuten, dass Jerome eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) haben könnte. Da die Diagnosestellung jedoch erst ab sechs Jahren empfohlen wird, vertagt man die Abklärung.