Zutiefst erwünschtes Kind
Während sich vor zwei Dekaden kaum ein homosexuelles Paar Kinder zu wünschen wagte, beanspruchen junge Lesben heute die Freiheit, nicht nur Kinder zu gebären. Sie wollen sich auch für das klassische Rollenmodell entscheiden dürfen. Sara zupft an ihrem grobgestrickten, ärmellosen Pulli, welcher der Mönchskutte von Katniss aus «Tribute von Panem» nachempfunden ist und schwingt Joa auf ihre Schultern. «Früher schaute man die Frauen dumm an, wenn sie arbeiten gingen, heute hagelt es Fragen, ob mir zu Hause nicht die Decke auf den Kopf falle», überlegt sie laut. Doch, klar, sie liebe ihren Beruf als Schreinerin. Den Geruch des Holzes einzuatmen, mit Säge, Hobel und Feile zu hantieren, das vermisse sie. Irgendwann wird sie auch in ihre Schreinerbude zurückkehren. «Im Moment aber bin ich einfach Mutter, geniesse die Zeit mit Joa und will für meine Familie sorgen!» Sara guckt unter dem zappelndem Bündel auf ihrer Schulter schräg nach oben zu Carmen: «Und das Privileg, Hausfrau sein zu dürfen, verdanke ich dir!»
Anders als bei heterosexuellen Paaren müssen sich Lesben und Schwule darum bemühen, wenn sie eine Familie gründen wollen. Kein zerrissenes Kondom, keine vergessene Pille, kein One-Night-Stand führen bei einem gleichgeschlechtlichen Paar zu einer ungeplanten Schwangerschaft. Jedes Kind, das einer homosexuellen Partnerschaft entspringt, ist ein zutiefst erwünschtes Kind.
In rechtlicher Hinsicht umfasst eine eingetragene Partnerschaft fast alles, was eine Ehe auch enthält – im Erb- und Sozialversicherungsrecht sind eingetragene Partnerschaften der Ehe gleichgestellt. «Das ist gut so», sagt Stefan Engler. Doch an der Idee, dass eine Ehe nicht aus zwei Männern oder zwei Frauen bestehen kann, möchte er festhalten.
Eigentlich machen sich Sara und Carmen nicht viel aus Politik. Dennoch fühlen sie sich von der CVP-Initiative vor den Kopf gestossen. «Abgesehen davon, dass wir zwei Frauen sind, entsprechen wir doch jeder traditionellen Vorstellung: Wir sind verheiratet, machen Kinder, sorgen gut für sie – wir tun das, was die Gesellschaft braucht.»
Der kleinen Joa sind Abstimmungen und politisches Gerangel herzlich egal. Glücklich klaubt das Mädchen farbige Holzkugeln aus der Spielkiste und guckt verblüfft, wie diese die Chügelibahn hinunterrollen. Nebenan kuscheln sich Sara und Carmen in die Kissen auf ihrem grauen Sofa, rühren in einer Latte Macchiato und erzählen Anekdoten aus ihrem Familienleben. Eine Frage bleibt ausgespart, bis zum Schluss: Soll Joa irgendwann noch ein Brüderchen oder ein Schwesterchen erhalten? Werden Sara und Carmen noch einmal nach Dänemark reisen?
Die beiden schmunzeln. Geht das jemanden etwas an? Oder umgekehrt gefragt: Ist es schlimm, wenn die ganze Welt weiss, dass bei Kellers Vertrauen, Liebe und Zukunftsträume hausen? «Nein», finden Sara und Carmen. «Und ja, die nächste Reise nach Kopenhagen steht bald an!»