Martin Kolb* (36) hatte fast alles. Eine Frau, die ihn liebt, ein Leben, das ihn erfüllt – nur ein Kind fehlte noch. Vor einem Jahr erfuhr er, dass er unfruchtbar ist. Danach wurde alles anders. Ein Protokoll.
Ich weiss nicht warum, aber ich hatte Angst, dass es nicht klappen könnte. Im Wartezimmer einer Praxis las ich, dass es zu 30 Prozent am Mann liegt, wenn keine Kinder entstehen. Immerhin, dachte ich und legte das Heft zurück, so etwas hört man ja immer mal, und konnte es doch nicht vergessen. Würde es bei mir klappen? Plötzlich wollte ich wissen, ob ich dazu in der Lage bin, ein Kind zu zeugen. Also vereinbarte ich einen Termin beim Urologen.
Wenn mich Freunde beschreiben, sagen sie, ich habe einen Hang zum Perfektionismus. Ich sei zuverlässig, treu und ehrlich, aber oft, sagen sie, dauert es eine Weile, bis ich mich mal fallen lasse. Wenn man etwas haben will, muss man nur dafür kämpfen, dachte ich immer.
Ich sass mit feuchten Händen in der Praxis und der Arzt schaute auf den Laborbericht. Er machte es kurz. «Sie haben kaum Spermien, und die wenigen sind fast bewegungslos», sagte er. «Wahrscheinlich sind Sie nicht zeugungsfähig.» Alles weitere verstand ich nicht mehr, denn der Ton hatte sich abgestellt. Um mich herum war alles wie in Watte gehüllt. Als sei jemand gestorben.
Das war ein Schock. Ein Gefühl von Ohnmacht. Ich habe mir 1000 Fragen gestellt, darunter immer wieder diese: Warum kann jeder Idiot Kinder zeugen, nur ich nicht? Es dauerte nicht lange und ich wurde richtig wütend. Bevor die Trauer kam, kam Wut. Und die hielt sich. Wochenlang.
Ich erzählte niemandem von dem Termin oder dem Ergebnis, auch nicht meiner Freundin. Wenn sie anrief, war ich einfach wortkarg. Ich war wütend, dass sie einen Kinderwunsch überhaupt je geäussert und mich aus meinem Trott gezogen hatte. Gleichzeitig schämte ich mich, überhaupt so zu denken. Ich wollte doch selbst Kinder. Ich stand völlig neben mir. Heute tut mir mein Verhalten leid, denn meine Freundin kam einfach nicht mehr an mich heran. Eine Weile lang gelang mir das Dichtmachen. Doch wenn sie nicht da war, fiel ich in ein tiefes Loch. Dann war alles still. Und voller Trauer. Niemals würde es jemanden geben mit meinem Lächeln, meiner Augenfarbe vielleicht, den Stirnrunzeln oder meinem Haarwirbel im Nacken. Jemand, der ein paar meiner Macken hätte. Die charmanten und die weniger charmanten. Niemand, der unverkennbar mein Kind sein würde. Ich hatte viele Anrufe in Abwesenheit auf meinem Anrufbeantworter. Darunter zwei von dem Arzt, der mich bat, zurückzurufen. Nur, warum? Damit er mir sagen konnte, dass es Möglichkeiten zur Adoption gibt oder Gesprächskreise für Impotente?