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«Haarsträubende Vorstellungen»

Künstler und Komiker Urs Wehrli von Ursus & Nadeschkin ist sich noch lange nicht klar über seine Rolle als Vater. Jedoch froh, sie zu haben.

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«Haarsträubende Vorstellungen»

Künstler und Komiker Urs Wehrli von Ursus & Nadeschkin ist sich noch lange nicht klar über seine Rolle als Vater. Jedoch froh, sie zu haben.

Ich sehe meinen Bub nie. Ich bin ständig auf Tournee, oft wochenlang im Ausland, und wenn ich zu Hause bin, bin ich sehr beschäftigt und habe Besprechungen, Proben und andere Termine. Oft komme ich abends spät von einer Vorstellung nach Hause, wenn er bereits im Bett ist, und wenn ich in der Früh aufwache, ist er schon im Kindergarten. Oder ist er bereits in der Schule? Ich bin, ehrlich gesagt, nicht sicher. Ich habe ihn schon so lange nicht mehr gesehen. Ich kann nicht mal mehr mit Bestimmtheit sagen, ob es überhaupt ein Bub ist, vielleicht ist es auch ein Mädchen. Ich weiss bloss, dass es ein Kind sein muss, denn zu Hause stolpere ich dauernd über irgendwelche Legos und Playmobilfiguren. Wenn ich wenigstens seinen Namen noch wüsste!
Haarsträubende Vorstellung, nicht? So habe ich mir das in meinen schlimmsten Befürchtungen vorgestellt, als ich mich darauf einzustellen versuchte, dass ich Vater werden würde.
Es kam aber ganz anders. Nämlich so: Kaum war unser Bub auf der Welt, habe ich mein Leben total umgestellt, habe all meine Aktivitäten komplett auf die neue Familie abgestimmt und wurde Hausmann! Ich bin seither nur noch zu Hause, habe alle Zeit der Welt, unserem Kind beim Wachsen zuzusehen und mit ihm die Welt zu entdecken. Wir verbringen die schulfreien Nachmittage auf dem Spielplatz, bauen Sandburgen, basteln Papierflieger, streifen durch den Wald und sammeln Bären und jagen Beeren. Daneben mache ich mit Hingabe den Haushalt und habe meine neue Leidenschaft, das Kochen, entdeckt und zaubere täglich marktfrische, abwechslungsreiche und biologisch wertwolle Menüs auf den Tisch. Daneben schreibe ich Kolumnen über meine Erfahrungen als Hausmann, gebe mehrmals wöchentlich Vorträge, werde als Vorzeigepapa in TV-Diskussionsrunden eingeladen und habe mehrere Bücher darüber geschrieben, wie es ist, ausschliesslich für die Familie und den Haushalt zuständig zu sein, als Hausmann mit Leib und Seele!

So kam es auch nicht. Den gibts ja schon.
Die Jahre vergingen – es sind mittlerweile schon fast sieben, in denen mir nie so richtig klar war, wo ich meine Vaterrolle einordnen sollte. Grossartige Jahre, die ich nicht missen möchte, Jahre, in denen unser Sohn zu einem kleinen Mann herangewachsen ist, mit Eltern, die beide freiberuflich und kreativ tätig sind, in denen wir erstaunlich viel Zeit miteinander hatten und immer noch haben, in denen wir unseren ständig wechselnden Wochenplan wöchentlich aktualisieren, in denen wir uns aufteilenund, so gut es geht, zu ergänzen versuchen. Es ist erstaunlich, wie man sich an diese neue Situation gewöhnt, und das Beste ist, dass es plötzlich total egal ist, welche Rolle man dabei spielt. Dass man sich Zeit nimmt, wird plötzlich ganz selbstverständlich, und der Tag scheint plötzlich mehr Stunden zu haben als früher, auch wenn man irgendwann merkt, dass dadurch die Nacht kürzer wird ... Ja, es stimmt: Es ist wunderbar, eine Familie zu sein – und ich würde es wahnsinnig vermissen, nicht mehr über Legos und Playmobil figuren stolpern zu dürfen.

Urs Wehrli

Urs Wehrli

Urs Wehrli (43) ist Künstler, Buchautor («Kunst aufräumen») und als Teil des international erfolgreichen Komiker-Duos Ursus&Nadeschkin zurzeit mit «Sechsminuten» auf Schweizer Tournee. Er lebt mit seiner Lebenspartnerin und seinem Sohn in Zürich.




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