«Ich glaube, niemand will in so einer Situation einfach nur in Ruhe gelassen oder gar gemieden werden – im Gegenteil», sagt Ingrid Eva Liedtke. Die 54-Jährige ist Mutter von drei erwachsenen Kindern, ihre Tochter kam mit Trisomie 21 auf die Welt. Heute berät die Psychologin Eltern von Kindern mit Down-Syndrom. «Was mir nach der Geburt meiner Tochter am meisten geholfen hat, war positive Bestärkung», erzählt Liedtke. «Etwa wenn jemand sagte: ‹Hey schön, Menschen mit Trisomie 21 sind so liebevoll!›» Auch Dominique Schärer und ihr Mann machten diese Erfahrung: «Uns haben die vielen ermutigenden Reaktionen gut getan», sagt sie. «Das Gefühl, unsere Freunde trauen uns zu, dies alles zu schaffen – etwa, wenn jemand schrieb: ‹So ein schönes Foto von euch vieren auf der Geburtsanzeige! Jules sieht gut aufgehoben bei euch aus!›»
Ungeschicktes Trösten vermeiden
Doch der positive Zuspruch sollte ehrlich gemeint sein und nicht übertrieben. «Ich fand es mühsam, wenn Leute meine Tochter im Kinderwagen betrachteten und aufmunternd sagten: ‹Man siehts ihr ja gar nicht an!›», so Liedtke. «Dabei sah man es sehr wohl. Was ich selbst nicht schlimm fand, denn ich konnte schnell akzeptieren, dass mein Kind speziell ist. Ungeschickte Trostversuche von anderen waren deshalb völlig unangemessen.»
«Für betroffene Eltern ist es enorm wichtig, zu merken: Das Umfeld ist da, unterstützt uns und tabuisiert vor allem die Behinderung des Kindes nicht», sagt Kathrin Kayser, Sozialarbeiterin bei der Pro Infirmis-Beratungsstelle in Altdorf im Kanton Uri. «Oft melden sich Freunde nach der Geburt nicht, weil sie überfordert sind.» Dabei sei dieses Gefühl durchaus legitim. Gerade am Anfang kann eine Unsicherheit entstehen. Häufig ist das Ausmass der Behinderung noch nicht klar und es stellen sich womöglich auch Fragen der Lebenserwartung. Kathrin Kayser empfiehlt, die Eltern offen anzusprechen: «Ich weiss gar nicht, was ich sagen soll.» Das helfe Betroffenen mehr, als keine Reaktion zu zeigen.
Eltern Hilfe anbieten
Eltern eines neugeborenen Kindes mit Behinderung wüssten ausserdem meist sehr gut, was sie brauchen. Die Sozialarbeiterin rät daher konkret zu fragen: «Wie kann ich euch unterstützen?» Mit dem Geschwisterkind etwas unternehmen, für die Familie kochen, die Eltern für ein Stündchen am Spitalbett des Kindes ablösen, damit diese zwischen all den Arztterminen auch mal an die frische Luft kommen – es muss nicht viel sein. «Schon ein bisschen Entlastung ist extrem wertvoll», erinnert sich Dominique Schärer. «Familien in unserer Situation brauchen nämlich plötzlich ganz viel Hilfe– und müssen gleichzeitig lernen, Hilfe anzunehmen.»