Kein Gute-Nacht-Kuss-Papi
Vier Monate nach Hannahs Geburt stelle ich mit grossem Unbehagen fest, dass ich auf dem besten Weg bin, das zu werden, was viele an sich aktive, engagierte, sogenannt moderne Väter in meinem Freundeskreis geworden sind und was ich nie sein wollte: ein Mann am Rande des Kinderzimmers. So lange die Wirtschaft und die Politik in diesem Land nur für die Frauen bescheidene Strukturen wie Teilzeitarbeit und Mutterschaftsurlaub bereitstellen, um die Kinderbetreuung und die Erwerbstätigkeit miteinander zu vereinbaren, können Männer wie ich nicht so engagierte Väter sein, wie wir es gerne möchten. Moment! Wollen die Männer sich hierzulande überhaupt stärker bei ihren Kindern und im Haushalt einbringen? Ich bin überzeugt: Wenn die Männer wollten, dann gäbe es in der Schweiz den Vaterschaftsurlaub längst.
Die Angst, mich selbst in die Situation eines Gute-Nacht-Küsschen-Vaters zu manövrieren, ist gross. So gross, dass ich mit meinem Chef spreche, um mein Pensum zu reduzieren.
Bin ich bei Hannah, fühle ich mich gut. Ich glaube, dass sowohl meine Frau als auch ich vieles im Umgang mit ihr instinktiv richtig machen.
Mindestens einmal pro Woche schaue ich die unzähligen Fotos an, die wir jeden Tag von ihr aufnehmen, um dem habhaft zu werden, was mit ihr und uns geschieht und was ich ohne die Bilder schwer einordnen könnte.
Ich weiss, ich will ein guter Vater sein. Was das genau ist, weiss ich noch immer nicht. Meine Grossmutter sagte einmal: Kinder muss man lieben, der Rest ist Kosmetik. Vielleicht hatte sie recht.
Es ist nachts um drei geworden, und ich bin noch am Schreiben. Im Nachbarzimmer schreit Hannah. Sie hat sich durch das Husten ihrer ersten Erkältung geweckt. Gleich stehe ich auf und schaue nach ihr, während der Cursor auf dem Bildschirm im begonnenen Satz weiter blinken wird. Vielleicht findet die Kleine in meinen Armen Schlaf, vielleicht hat Hannah Hunger und wird gleich gestillt, vielleicht wird sie mit ihren Händen in mein Gesicht langen und die kitzelnden Haare meines Zwölftagebarts erkunden.
Peter Ackermann (40) ist verheiratet und Vater einer Tochter. Er arbeitet als stellvertretender Ressortleiter Reportagen bei «annabelle» und wurde für seine Artikel mehrfach ausgezeichnet.