Rrrrummms. Mit zielsicherer Handbewegung schmeisst der 3-jährige Leon unsere Bücher aus dem Regal. Seine Mutter Anne, eine gute Freundin von mir, lacht: «Na Leon, bist ja wieder voll in deinem Element.» Meine Tochter blickt erstaunt – auf der Suche nach dem Donnerwetter, das sie sich an Leons Stelle hätte anhören müssen. Aber ich bleibe erst mal ruhig. Schliesslich ist Leon nicht mein Kind, sondern das meiner Freundin. Und genau dort liegt der Knackpunkt. Ein Kind stellt den Alltag ab jetzt gleich auf den Kopf, darauf stellt man sich als werdende Eltern gemeinhin ein. Genauso wie auch auf die Tatsache, dass kinderlose Freunde den neuen, essentiellen Fragen wie «Nimmt das Kleine genug zu?» und «Wie kriegen wir es zum Durchschlafen?» nicht so viel abgewinnen können. Gut, gibt es im Freundeskreis mittlerweile viele andere Eltern!
Dass jedoch die Gleichung «Wir haben Kinder, also sind wir auf einer Wellenlänge» nicht aufgeht, wird einem erst mit der Zeit bewusst.
Als Anne bei den nächsten zu Boden fallenden Büchern wieder nicht reagiert, nehme ich ihren Sohn beiseite: «Stopp Leon. Die Bücher bleiben im Regal.» «Hui», sagt meine Freundin ein wenig peinlich berührt, «bei euch weht aber ein strenger Wind.»
Es ist nicht die erste Gelegenheit, die mir bewusst macht: Zwischen Anne und mir herrscht neuerdings ein unangenehmes Gefühl von Fremdheit – hervorgerufen durch unsere Kinder. Wir kennen uns noch aus kinderlosen Tagen und haben uns nie wirklich über Erziehungsstile ausgetauscht. Irgendwann jedoch begann ich zu ahnen: Gemeinsame Vorlieben für Film und Musik sind kein Garant dafür, dass man auch in Erziehungsfragen gleichauf liegt.